Schluss mit dem Reizdarm

Psychotherapeutische Interventionen

Zur Person Brigitta Loretan-Meier, Master of Science UZH, ist Fachpsychologin für Psychotherapie FSP/ SBAP in eigener Praxis in Brugg, ebenso teilzeitlich in Zürich, wo sie seit 1999 das Projekt Psychotherapie in der gastroenterologischen Praxis von Dr. med. A. Dolder, Innere Medizin FMH, in Zürich, aufgebaut hat. Brigitta Loretan ist auf Reizdarmpatienten spezialisiert. Sie arbeitet vorwiegend mit Konzepten aus der Körperpsychotherapie (Biodynamik), mit Modellen des Stressmanagements und mit therapeutischen Strategien der klinischen Hypnose.

Abstract Nach WHO Diagnose-Kriterien, ICD-10, F45.3, handelt es sich bei IBS um eine somatoforme autonome Funktionsstörung. Die Behandlung von Reizdarm oder IBS ( Irritable Bowel Syndrom), eine der häufigsten Magen-Darmerkrankungen bei Erwachsenen, ist medizinisch pharmacotherapeutisch kaum behandelbar. Patienten mit schwerer IBS-Symptomatik sind auf eine interdisziplinäre Beurteilung und Behandlung angewiesen. Psychotherapeutische Interventionen und Hypnotherapie im Speziellen haben sich in kontrollierten Studien als nachhaltig und wirksam erwiesen. Folgender Beitrag gibt Einblick in Phänomenologie und psychologische Hintergründe der IBS-Problematik, beschäftigt sich mit dem Stellenwert der Psychotherapie und mit realistischen Zielsetzungen bei Menschen mit einer somatoformen Störung des Gastrointestinaltraktes. Ein Fallbeispiel aus der psychotherapeutischen Praxis zeigt neue Perspektiven im Umgang mit schwerer IBS-Symptomatik. Aus der praktischen Erfahrung lässt sich erkennen, dass das Wissen um psychische Aspekte des IBS bei der Behandlung eine wichtige Rolle spielt und dass empathische Kommunikation zwischen Arzt/Therapeut und IBS-Patient notwendig ist.

1. Einleitung Letztes Jahr hatte ich als Psychotherapeutin die Gelegenheit, am interdisziplinären Zürcher Symposium für Medizin einen Beitrag zum Stellenwert der Psychotherapie bei Menschen mit IBS zu leisten. Daraus ist der folgende Artikel entstanden, der mit dem Fallbeispiel eine Aussagekraft hat nach dem Grundsatz: Im Besonderen wird auch immer das Allgemeine sichtbar. Motivation zu diesem Bericht sind meine Erfahrungen der letzten zehn Jahre mit schweren IBS oder ReizdarmpatientInnen, im Alter zwischen 16 und 72 Jahren. Unser Projekt Gastroenterologie und delegierte Psychotherapie ist eine interdisziplinäre Verknüpfung von psychotherapeutischen und medizinischen Behandlungsmethoden. Von dieser Zusammenarbeit profitieren alle, Arzt, Psychotherapeut und vor allem die Patienten, das hat sich vielen Fällen bestätigt. Vorteil für mich als Psychotherapeutin bei diesem Setting ist, dass eine sinnlose Ursachensuche auf der somatischen Ebene meistens wegfällt, nachdem die Patienten vom Gastroenterologen medizinisch beurteilt sind. Die medizinische Abklärung macht es leichter, in der Psychotherapie an der Affektseite der Symptomatik anzusetzen.

1.1 Blickwinkel der Psychotherapie Als Körperpsychotherapeutin arbeite ich bei Menschen mit somatoformen Störungen generell mit dem Fokus auf Körperwahrnehmung, mit Atem- und Energiearbeit und Berührung und Entspannung. Das therapeutische Gespräch und der Einbezug der Psychodynamik ist vorrangig. Die Absicht ist, einen Zugang zu Gefühlen und unbewussten Konflikten auch über den Körper zu finden. Dieser Ansatz hat sich bei IBS-Patienten sehr bewährt.

 

2. IBS - ein Fall für mindestens zwei Experten Zwei Experten am Werk - eine idealtypische Situation, wie wir sie in unserem ZH-Modell seit einigen Jahren praktizieren! Wir betrachten den Menschen in seiner Ganzheit und fragen nach dem zugrunde liegenden Gemeinsamen der psychischen und somatischen Phänomene. Wie hängen die beiden Seiten zusammen? Dazu modellhaft ein paar grundsätzliche Überlegungen zu IBS und Psychischem Befinden (PB):

  • PB beeinflusst IBS oder umgekehrt
  • PB und IBS laufen parallel
  • IBS und PB erhalten sich in Wechselwirkung aufrecht

Wenn ich KlientInnen mit diesen drei Erklärungsmodellen konfrontiere, treffen sie jeweils spontan und mit gutem Gespür für ihre persönliche Situation eine passende Wahl! Diese vorläufige Annahme dient anfänglich als gute Arbeitsgrundlage.

2.1 IBS-Diagnose – zwischen Ohnmacht oder Erleichterung Folgende Äusserungen zeigen, wie diese Diagnose bei PatientInnen ankommt: „Reizdarm ist für mich eine Wischi-Waschi-Bezeichnung!“ – „Beim Begriff Reizdarm sehe ich ein Bild von einem Bandwurm...so öppis gruusigs!“ - Negativ behaftet ist auch folgende Aussage: „Ich bin doch kein Kolon mit zwei Beinen! Ich fühle mich abgestempelt.“ Durchaus positiv sieht es eine Betroffene mit chronischem IBS: „Schon lange kämpfe ich mit dem Bauch. Die Information des Hausarztes vor über 20 Jahren war gut, die Symptombeschreibung traf absolut zu. Ich fühlte mich in der Symptomatik erkannt. Gut, dass meine Erkrankung einen Namen hat.

2.2 Symptom und seine Bedeutung Bei funktionellen Störungen, werden Symptome als fehlgeleitete Copingstrategien interpretiert. Ein solches Signal macht zu einem bestimmten Zeitpunkt Sinn. Das Symptom als Metapher aufgefasst, entschlüsselt seine Bedeutung sowohl beim Individuum als auch im Familiensystem. Ich sehe bei Klienten häufig folgende Verhaltensweisen: Ausweichen oder Suche nach Aufmerksamkeit. Im Falle einer Klientin mit Essstörung z.B. ist das Symptom ein Ablenkungsmanöver. Sie klagt immer wieder über den Schmerz im Enddarmbereich, sucht die Ursache zwanghaft und unermüdlich auf körperlicher Seite, macht Doktorshopping neben der Psychotherapie. Die therapeutische Arbeit am Symptom bringt bei ihr ab und zu Erleichterung. Eine positive Entwicklung im psychotherapeutischen Prozess, mehr Lebensfreude und Zuversicht, wird jedoch erst erkennbar beim Explorieren der psychodynamischen Seite. Veränderung, d.h. in ihrem Falle fast gänzliches Verschwinden des Schmerzes, geschieht, nachdem sie ihren seelischen Schmerz (Verlustängste) erkennen und annehmen konnte.

2.3 Erwartungen und Bedürfnisse von KlientInnen „Sie sind meine letzte Hoffnung!“ - „Das schlimmste an meinen Symptomen“, sagt eine Klientin, „ist nicht das physische Leiden, sondern dass die Symptome mein ganzes Bewusstsein einnehmen.“ - „Alles rund ums Essen wird zum Stress! Mit Bauchweh, Blähungen, Verstopfung geht der ganze Genuss am Leben verloren.“ Solche Aussagen bringen die unsichtbare Seite vom IBS in Form von Ärger, Angst, vegetativen Symptomen und Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck. Betroffene von IBS bleiben oft im Dilemma zwischen Ohnmacht und Erleichterung. Erleichterung, weil es einen Namen gibt für die Symptomatik. Ohnmacht, weil es im schulmedizinischen Bereich weder eine ausreichend anatomisch-pathologische Erklärung, noch ein überzeugendes Therapieangebot für diese Krankheit gibt. In dieser Situation wird das alte Dilemma spürbar, sich als Person mit dem schmerzenden Darm im Körper als in zwei Realitäten zu erfahren, nämlich das „Ich“ und „Der verhasste Bauch“. Als Therapeutin stelle ich fest, dass die Menschen oft im Entweder-oder-denken verhaftet sind. Entweder ist es nur körperlich, „ die Aerzte müssen eine Krankheitsursache finden, ich bin doch nicht psychisch gestört“, oder nur psychisch, „was mache ich falsch, wieso habe ich das?“ Aus dieser Ambivalenz heraus resultiert oft eine feindliche Beziehung zum Körper oder Darm, oder eine negative Einstellung gegenüber dem persönlichen Schicksal. Hier setzt die Psychotherapie an. Hypnose hilft diese Problematik zu überbrücken.

3. Hypnose als Brücke zwischen Körper und Seele

3.1 Heilsame Behandlungsmethode Klinische Hypnose als Behandlungskonzept bedient sich verschiedener Methoden und Prinzipien, die im psychotherapeutischen Sinn eingesetzt werden, um Fähigkeiten und Kompetenzen der KlientInnen zu nutzen. Diesen Methoden liegt die Annahme zugrunde: Heilung, im Sinne von Besserung oder Genesung, schliesst die Aktivierung innerer Ressourcen im Verlauf des Genesungsprozesses ein. Mit „Heilung“ generell ist die aussergewöhnliche Fähigkeit von Geist und Körper gemeint, sich von einer Verletzung zu erholen. Man geht also davon aus, dass Gesundwerden ein Produkt der gesamten Ressourcen des Menschen ist. In Hypnotherapie geschieht dies zu einem grossen Teil durch die Betonung positiver Eigenschaften (Kompetenzen), auf die schrittweise aufgebaut wird. Die Therapeutin passt die Therapieschritte grundsätzlich den Möglichkeiten des Klienten an, d.h. der aktuelle Zustand, die Art, wie die Dinge und Gefühle vom Klienten beschrieben werden, Wertvorstellungen und der Kommunikationsstil werden berücksichtigt. Beispielsweise findet ein Klient ein Bild vom Radfahren als Energiequelle (Ressource), die Metapher „die Kurve kriegen „ gefällt ihm, dient ihm als Verstärker und wird von ihm zukünftig bei der Selbsthypnose eingesetzt, utilisiert.

3.2 Hypnose und Aufmerksamkeitsfokus Ziel der hypnotischen Trance ist die Verschiebung der Wahrnehmung und des Aufmerksamkeitsfokus hin zum Suchen von neuen Lösungen, z. B. Linderung von Schmerz, Änderung von Einstellungen und besserem Körperbewusstsein. Subjektive Anzeichen der Trance sind z.B. körperliche Entspannung bei gleichzeitiger mentaler Wachheit, Verringerung der externen Wahrnehmung, lebhaftes Vorstellungsvermögen (Imagination), oder Zeitverzerrung. Zusätzliche Faktoren wie Schmerz oder Angst, wie sie bei IBS-PatientInnen oft anzutreffen sind, verzerren die Wahrnehmung, und oft fehlen dem Klienten im normalen Wachbewusstsein die Worte zum Beschreiben seiner Verfassung. In Trance hingegen findet der Klient einen direkten und erweiterten Zugang zu Gefühlen und Bildern und damit zu verschiedenen Ebenen der Informationsverarbeitung. In Trance erhöht sich die Farbigkeit und Lebendigkeit innerer Bilder. Affekte und Gefühle der KlientInnen werden intensiviert.

4. Fallbeispiel „Schluss mit dem Reizdarm“ So lautet der Titel des Buches, mit dem der junge Mann in der ersten Therapiestunde erscheint. Der Klient, 35 Jahre, beruflich erfolgreich, mit intaktem sozialen Netzwerk, klagt über extreme Reizdarmbeschwerden. Zusätzlich kämpft er immer wieder mit Nervosität und Konzentrationsschwäche. 2001 wurde erstmals eine vollständige Gastro-Abklärung gemacht mit Diagnose Reizdarm. Verschiedene Therapieverfahren bringen vorübergehend leichte Besserung, Therapie mit Librax zeigt ungenügenden Erfolg. Der Mann kommt 2008 über Umwege in die Gastro-Sprechtstunde bei Dr. med. A. Dolder und wird zu mir überwiesen. Der Klient beschreibt seine Symptomatik wie folgt: Übelkeit beim Aufstehen, Defäkationsreiz, kommt fast nicht aus dem Haus, muss mehrmals zur Toilette zurück, beschreibt vegetative Stresssymptome wie Schweissausbruch, Zittern, vor allem auf der Fahrt zur Arbeit. Vollbild von IBS mit Angstsymptomatik. Zum Psychostatus sagt er: „Ich bin oft lustlos und resigniert, ich habe so viel schon gemacht, alles gelesen, nichts hilft!“ Im Weiteren fühlt er sich der oben erwähnten Symptomatik völlig ausgeliefert, vor allem am Morgen. Seine Störungen seien im lästig, obschon die engsten Mitarbeiter und sein Vorgesetzter für seine Problematik Verständnis hätten. Grosser innerer Druck, Angst, nicht mehr zu genügen und eine zunehmende Unsicherheit haben ihn zu diesem Schritt in die Psychotherapie bewegt.

Das persönliche Ziel des Klienten wird wie folgt herausgearbeitet: „Den Stress los werden! Den Körper wieder besser wahrnehmen!“ Zielsetzung der Therapeutin: Stabilisieren, Wohlbefinden und Lebensqualität steigern.

4.1 Therapieverlauf Nach der Anamnese suchen wir gemeinsam die momentan schlimmste Symptomatik (Kontrollverlust und morgendlicher Stress) und beschliessen, daran zu arbeiten. Der Klient wird informiert (über Hypnose), dann instruiert (wie es abläuft), und darauf wird die Trance induziert. Der erste Therapieschritt dient dem Explorieren. Der Klient wird erstmals in eine leichte Trance geführt: Tiefes Einatmen, gleichzeitig Faust machen, hörbar Ausatmen, Augen schliessen. Mit geeigneten Suggestionen und Angeboten lenke ich seine Aufmerksamkeit zur Beobachtung des inneren Geschehens (Körperempfindungen) und leite ihn an, mit einer spezifischen Hypnosetechnik (Wegtrance), zum Finden von kraftvollen Bildern oder erfolgreichen Lebenssituationen. Ressourcen zum Stabilisieren, das stellt sich bald heraus, sind bei diesem Klienten vorhanden (Ferienbild vom Surfen in Australien). Am Ende der Therapiestunde beschreibt er seine Verfassung so: „Der Atem fliesst leichter, angenehmes Körpergefühl, besonders im Brustraum und allgemein bessere Selbstwahrnehmung.“ Er stellt fest, dass sich seine Spannung verändert, verringert hat. - Er nimmt Australien als Ressource (belebend, harmonisierend) zum Stressabbau mit, und die anfängliche Faustübung zur Selbsthypnose, damit er zu Hause üben kann. - Wichtig und unterstützend für den therapeutischen Erfolg ist der Auftrag, das Erfahrene im Alltag übend umzusetzen! Im Behandlungsprozess geht es vorerst nicht um Entspannung, sondern um Selbststeuerung. In der zweiten Therapiestunde erzählt er, dass er heute erstmals wieder diesen Stress mit dem Bauch hat, kann es sich nicht erklären! Er sieht generell Fortschritte, vor allem im Atem als einfachem Spannungsregulator, äussert gleichzeitig Zweifel, ob er es schafft mit dem Darm. Der Klient möchte mehr Selbstvertrauen und Durchsetzungsfähigkeit gewinnen. Während der Trance nimmt er eine ihm bekannte Unruhe wahr, bringt dieses Gefühl mit Ärger in Verbindung und lernt es aushalten (Affekt wird utilisiert). Er findet auch eine Ursprungssituation seiner tief liegenden Ängste.

Nach nur fünf Therapiestunden innerhalb acht Wochen hat der Patient fast keine Symptome mehr, kann besser Nein sagen (Abgrenzung), hat aufgeräumt mit den vielen „ich muss“, nutzt verschiedene Techniken, die sein Selbstwertgefühl stärken, und hat die Fähigkeit zur Selbststeuerung zurückgewonnen (Kontrolle über seine Angstsymptomatik). Der Klient äussert Zuversicht (Prinzip Hoffnung) gegenüber IBS. Er erkennt die Veränderung auch daran, dass er im Alltag weniger kämpft (z.B. im Fitnesstraining Leistungsgrenzen wahrnehmen) und sich besser konzentrierenkann. Seine morgendlichen Startschwierigkeiten sind vollends verschwunden. Nach seiner Beurteilung ist die anfängliche IBS-Symptomatik um neunzig Prozent zurückgegangen. Der Therapieerfolg bleibt auch nach zwei weiteren Behandlungen in grösseren Abständen von zwei und sechs Monaten bestehen. Anfänglich habe ich mit dem Klienten mit Techniken der Wahrnehmungsveränderung am Symptom gearbeitet, später sind psychodynamische Aspekte (ungelöste, psychische Konflikte) seiner Persönlichkeit ins Zentrum gerückt. Der oben erwähnte Klient beispielsweise ist durch eine hypnotherapeutische Strategie (Altersregression) in die Ursprungssituation gelangt, die zu seiner Schmerzentstehung und Angstentwicklung beigetragen hat und konnte sie rekonstruieren und verändern.

4.2 Fallzusammenfassung Der Klient hat Selbstvertrauen im Umgang mit IBS und den darunter liegenden Problemen gewonnen und ein wachsendes Mass an Selbstfürsorglichkeit und Sozialkompetenz erreicht, mit dem Resultat:

  • weniger „Stress“ mit der Symptomatik
  • besserer Umgang mit den Emotionen und dadurch
  • mehr Zeit und Energie für andere Lebensbereiche.

Diese Entwicklungsschritte verhelfen zu besserer Lebensqualität, trotz IBS. Obwohl Behandlungsergebnisse im zeitlichen Verlauf sehr individuell sind, braucht es meiner Erfahrung nach durchschnittlich fünf bis acht Therapiesitzungen für einen deutlichen Therapieerfolg. „ Die Symptomatik habe ich immer noch ab und zu, aber sie spielt für mich jetzt keine grosse Rolle mehr.“ - „Wenn ich Symptome wahrnehme, denke ich ans rote Lämpchen und mir wird bewusst, dass ich etwas ändern kann, z.B. Luftholen, Durchatmen.“ Dies sind typische Beschreibungen des Erfolgserlebnisses. - Konkret heisst das, Symptomatik ist geringer, kontrollierbar und hat weniger Bedeutung im Leben. Oder das Symptom hat Signalwirkung für mehr Aufmerksamkeit für das Wesentliche (z.B. Prioritäten setzen). Am Symptom kann man lernen, aus Begrenzungen können persönliche Ressourcen werden! Ein bedeutungsvoller Schritt in die richtige Richtung.

4.3 Rolle der Psychotherapeutin Aufgabe der PsychotherapeutIn ist es, Entwicklungsdefizite einer Person, beispielsweise in Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Kommunikationsstil, zu erkennen und den therapeutischen Prozess auf der Lösungs- und Beziehungsebene zu begleiten und zu fördern. Die besondere Qualität der Hypnotherapie liegt in der Kombination von lösungsorientiertem und bindungsorientiertem Vorgehen. In Trance entsteht nämlich zwischen TherapeutIn und KlientIn eine Bindung, in welcher die TherapeutIn in verstärktem Masse die Kreativität der KlientIn fördern kann. Wesentlich dabei ist die Qualität der therapeutischen Beziehung, die vertrauensvolle Atmosphäre und eine gewährende Haltung. Dazu braucht es neben einem breit angelegten Therapiekonzept, und über technisches Know-how und Expertenwissen hinaus, TherapeutInnen, die ein grosses Repertoire an Erfahrung und ein gutes Gespür für Zwischentöne entwickelt haben. Abschliessend kann ich sagen, dass mich jede neue Lebensgeschichte, jede neue Problemstellung von KlientInnen mit IBS weiterbringt und motiviert zu kreativem therapeutischem Explorieren. - Kleine Interventionen können viel bewirken. Auf die Frage, was ihm in der Therapie am meisten geholfen habe, antwortete der Klient vom Fallbeispiel: „ Die Ressource Australien aus der ersten Therapiestunde habe ich immer wieder genutzt!“

5. Forschungsergebnisse Viele kontrollierte Studien existieren, bei denen im entsprechenden psychotherapeutischen Setting - mit hypnotherapeutischen Interventionen - eine hoch signifikante Reduktion von Angst, Depression und gastrointestinaler Symptomatik nachgewiesen wird. Besonders erwähnenswert ist eine neuere Studie über Kurztherapien aus York, UK, (Brann et al 2007). Sie zeigt bei 230 IBS-Patienten nach nur 4 Hypnosesitzungen innerhalb von 6 Wochen signifikante Besserung der Scores Schmerz, Angst und Depression. Die hohe Ansprechrate erklärt sich dadurch, dass nicht nur die Symptomatik, sondern psychische Aspekte der IBS-Problematik im Fokus der Aufmerksamkeit sind.

6. Kernbotschaft - Psychotherapie bei IBS-Betroffenen ist indiziert, wenn Symptomatik hoch und Lebensqualität stark beeinträchtigt ist. - Hilfreich und wirksam für den IBS-Patienten ist, wenn die psychische Seite der Reizdarmproblematik im Fokus der Aufmerksamkeit ist. - Hypnotherapie beeinflusst die affektive und die sensorische Komponente des Schmerzes.

Bei somatoformen Störungen wie IBS ist eine interdisziplinäre Verknüpfung von medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung notwendig.

Literaturliste

  1. Brann L., Joslin M., Mackrodt K., Hypnose, Zeitschrift für Hypnose und Hypnotherapie, Book of Abstracts, Band 3, Sonderheft Sept. 2008, S 89.
  2. Hypnose und Kognition, Zeitschrift für Hypnose und Hypnotherapie. Hirn und Hypnose, Band 21, Heft 1 + 2, Oktober 2004.
  3. JCCV e.V. (Hrsg.) Chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Hirzel, 2006, S 220 – 221.
  4. Journal of Alternative and Complementary Medicine. Vol. 12, Number 6/2006, S 517 – 527.
  5. Kaptchuk TJ, Kelley JM, Conboy LA et al. Components of placebo effect: randomised controlled trial in patients with IBS. 2008.
  6. Revenstorf D., Peter B., Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Manual für die Praxis, Springer 2001.
  7. Shorf D., Weinspach C., Hoffnung und Resilienz. Therapeutische Strategien von Milton H. Erickson. Carl-Auer 2007.
  8. Zeig J.K., Einzelunterricht bei Erickson. Hypnotherapeutische Lektionen bei Milton H. Erickson. Carl-Auer-Systeme 2002.
  9. Zeig J.K., Meine Stimme begleitet Sie überallhin. Konzepte der Humanwissenschaften, 2006.